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Kurzgeschichten

 

Haus der Tränen

Lebensgeschichten und Traumgedanken

 

 

Taschenbuch

"edition nove" - novum Verlag

18.06.2007

ISBN 978-3-85251-102-3

Preis: 13,90 € / 81 Seiten

 

 

 

 

 

Der Leuchtturm


Elisabeth war überglücklich, als sie aus dem Auto stieg und mit ihren kleinen Füßen durch den weißen Sand stapfte. Sie hatte wieder einmal ihre Mutter überreden können, ihren Onkel zu besuchen. Für Elisabeth war ihr Onkel etwas ganz Besonderes, denn er bewohnte einen richtigen Leuchtturm. Da sie ein sehr aufgewecktes Mädchen war, waren diese Besuche immer ein kleines Abenteuer. Sie liebte ihren Onkel und – diesen Leuchtturm.

Kirsten Martens nahm ihre kleine Tochter bei der Hand und steuerte mit ihr geradewegs auf den Turm zu. Von Weitem konnten beide schon einen blonden hünenhaften Mann auf sie zukommen sehen. Er trug ein liebes Lächeln im Gesicht und winkte mit seinen Händen. Elisabeth riss sich von ihrer Mutter los und rannte auf ihren Onkel zu. Sie sprang hoch und klammerte sich um seinen Hals. Dieter Verhoeven drückte seine kleine Nichte ganz fest an sich und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
„Meine kleine Wilde, freut mich, dass ihr mich wieder einmal besuchen kommt“ sagte er mit einer ruhigen tiefen Stimme.
Dann sagte er im selben Ton zu seiner Schwester:
„Schön dich wieder zu sehen, Kirsten“.
„Wie lange bleibt ihr?“ fragte er noch.
Kirsten begrüßte ihren Bruder und küsste ihn auf die Wange. Dann antwortete sie:
„Wir würden gerne drei Tage hier bleiben und die frische Meeresluft genießen“.
Dieter nahm das Gepäck der Beiden und erwiderte:
„Geht klar, Kirsten“.
Gemeinsam betraten sie den Leuchtturm.

Über eine Wendeltreppe gelangten sie in einen kleinen aber sehr gemütlich eingerichteten Raum. An den Wänden hingen alte kleine Schiffsbilder und in der Vitrine konnte man wunderschöne Bootsmodelle bewundern. Ein Tisch, drei Sessel und eine Kochnische ergänzten die Einrichtung. Das Schlafzimmer lag genau über diesen Raum und war auch über die Wendeltreppe erreichbar. Über diese kam man auch in das „Kernstück“ des Turmes, in den rundum verglasten „Lichtspiegelraum“.

Während Kirsten und Elisabeth sich gemütlich hinsetzten, stellte Dieter Kaffee und Kakao zu.
„Onkel Dieter fahren wir wieder ein Stück mit dem Boot hinaus?“ fragte Elisabeth.
Sie liebte das Meer, die Wellen und die gesamte Atmosphäre hier.
„Das ist doch Ehrensache“ antwortete Dieter.
Kirsten hatte zwar immer Bedenken, aber sie wollte ihrer Tochter auch nicht die Freude nehmen. Aber sie musste ihrer Angst Ausdruck verschaffen und deshalb meinte sie:
„Aber wenn ihr loslegt, dann passt bitte auf und treibt keinen Unfug“.
„Ich kann deine Bedenken verstehen, aber ich bin doch schon ein alter Seebär“ konterte Dieter mit einem Schmunzeln im Gesicht.
Seine Schwester beruhigte sich wie immer sehr rasch.

Die nächsten drei Tage vergingen wie immer viel zu schnell. Aber sie konnten alle das wunderschöne Wetter und die gute Luft ausnützen. Kirsten erholte sich ein wenig vom Alltagsstress und konnte sich richtig entspannen. Elisabeth unternahm mit ihrem Onkel eine kleine Bootsfahrt, besuchte ihre Freunde im kleinen Ort und ließ ihren abenteuerlichen Gefühlen freien Lauf. Sie spielte im Turm und durfte auch einmal das Licht betreuen. Auch für Dieter war der Besuch eine willkommene Abwechslung.
Der Abschied tat allen leid, aber sie wussten, dass sie sich schon bald wiedersehen werden.


Der Heimweg führte sie durch bezaubernde idyllische Landschaften und Orte entlang der See. Es war schon ziemlich dunkel, als sie auf einer fast unbefahrenen Landstraße anlangten. Diese führte über eine kleine Anhöhe direkt zur Auffahrt auf die Autobahn. Mitten am Hügel streikte plötzlich der Motor von Kirstens Wagen. Sie versuchte mit allen Tricks das Auto wieder zu starten, doch er sprang ganz einfach nicht mehr an. Es war schon stockfinster und weit und breit keine Menschenseele zu sehen. Was sollte sie nun tun? Das Handy – schoss es ihr durch den Kopf. Sie griff in ihre Tasche, nahm das Handy heraus und wollte die Nummer ihres Bruders wählen. Als sie auf das Display sah, war Kirsten der Verzweiflung nahe – kein Empfang. Sie versuchte es immer wieder und wählte auch verschiedene Notrufnummern, aber das Handy blieb ohne Verbindung. Wie soll es nun weitergehen? Sie musste Hilfe holen, konnte aber ihre schlafende Tochter nicht alleine im Auto zurücklassen. Sie musste Elisabeth aufwecken und versuchen dem Kind die Situation so schonend wie möglich zu erklären. Vorsichtig schüttelte sie die Kleine. Langsam wachte diese auf und murmelte verschlafen:
„Was ist los, wo sind wir?“
„Mir ist kalt“ erklärte sie noch.
Kirsten erzählte ihrer Tochter alles und hängte ihr eine warme Weste um.
„Was machen wir jetzt?“ wollte Elisabeth von ihrer Mutter wissen.
„Wir müssen versuchen irgendeine Menschenseele zu finden, die uns helfen kann“ erklärte sie der Kleinen.
Das Mädchen sah das ein und machte sich mit ihrer Mutter auf den abenteuerlichen Weg. Sie bewegten sich fast taumelnd vorwärts. Schritt für Schritt, sich fest an den Händen haltend, tasteten sie sich weiter. Auch die Angst machte sich bei ihnen breit. Sie gingen schon beinahe eine halbe Stunde, doch noch immer war kein Licht zu sehen. Kirsten und Elisabeth irrten verzweifelt durch die Gegend. Nach knapp einer Stunde konnten sie nicht mehr. Sie setzten sich auf einen großen Stein und hielten sich fest umschlungen. Trotz Kälte schlief Elisabeth in den Armen ihrer Mutter ein.

„Elisabeth, Elisabeth Kleines“ hörte das Mädchen auf einmal die Stimme ihres Onkels.
Träumte sie? Sie waren doch weit von Dieter entfernt. Wie konnte Dieter zu ihr sprechen?
„Elisabeth, ich zeige dir den Weg“ hörte sie plötzlich die Stimme sagen.
Sie wusste nicht mehr, ob sie schlief oder wach war. Aber was sie nun sah, raubte ihr fast den Verstand. Ein grelles Licht, das in kurzen Abständen blinkte. Der Lichtkegel drehte sich und blieb dann plötzlich in eine Richtung zeigend stehen. Der Leuchtturm zeigte ihr den Weg. Der Leuchtturm – das konnte ja nicht sein. Der steht doch kilometerweit entfernt. Nein, das musste sie träumen.
Das Mädchen rang mit ihren Gefühlen. Doch da war sie wieder diese Stimme:
„Elisabeth, du kannst mir vertrauen. Das ist der richtige Weg“.
Die sanfte Stimme ihres Onkels wirkte beruhigend auf Elisabeth ein. Der Lichtstrahl des Leuchtturms bewegte sich nicht von der Stelle.

Kirsten war auch kurz eingenickt, doch die Kälte und die Angst ließen sie nicht einschlafen. Sie bemerkte, wie unruhig Elisabeth schlief. Die Kleine drehte sich von einer Seite auf die andere und schüttelte dabei immer wieder ihren Kopf. Dann riss sie plötzlich die Augen auf und flüsterte:
„Ich kenne den richtigen Weg. Wir müssen nur dem Licht folgen“.
„Welchem Licht?“ fragte die Mutter erstaunt.
„Hier ist alles finster“ ergänzte sie noch.
Elisabeth stand auf, zupfte ihre Mutter beim Ärmel und sagte:
„Vertraue mir, ich sehe es“.
Beide machten sich in der Dunkelheit auf den Weg. Nach einer kleinen Biegung sah auch Kirsten plötzlich ein kleines flackerndes Licht. Man sah ihr die Erleichterung an, als sie ihre Tochter bei der Hand nahm und sie eilends auf das Licht zugingen.

Nun standen sie beide vor einer kleinen Hütte, aus der Licht auf den Weg schien. Kirsten klopfte, ohne viel dabei zu überlegen, an die Holztür. Eine nette Frau öffnete und fragte erstaunt:
„Was treibt sie zu dieser späten Stunde in diese abgelegene Gegend?“
Kirsten erzählte alles in kurzer Form und bat, ob sie vielleicht telefonieren dürfte. Sie hatten Glück im Unglück. Es gab ein Telefon.
„Kommen sie doch mit ihrer Tochter herein. Sie sind doch total durchfroren“ meinte die nette Dame.
Sie betraten die kleine Hütte. Es war angenehm warm hier und vor allem konnte Kirsten jetzt Hilfe rufen. Während sie den Notruf tätigte, bereitete die nette Frau einen heißen Tee für alle zu. Elisabeth war so müde, dass sie noch am Sessel einschlief.

Es klopfte an der Tür. Draußen standen zwei Polizeibeamten. Die nette Dame ließ sie herein und sie hörten sich von Kirsten das Erlebte an. Die Polizisten nahmen alles genau auf und einer der Beamten fragte Kirsten:
„Möchten sie mit ihrer Tochter heute Nacht bei meiner Familie schlafen?“
Dann fügte er noch hinzu:
„Der Abschleppdienst wird erst morgen ihr Auto holen können. Sie konnten uns ja leider keine nähere Ortsangabe machen“.
„Das kommt gar nicht in Frage“ mischte sich die nette Dame freundlich ein, „die beiden können auch bei mir übernachten“.
Alle waren von diesem Vorschlag begeistert. Die Polizisten verabschiedeten sich und verließen das Haus. Kirsten hob ihre Kleine behutsam hoch und legte sie auf die ihr angebotene Couch. Sie plauderte noch ein wenig mit der lieben Gastgeberin, dann legten sie sich auch schlafen.

Am nächsten Tag geschah dann alles so wie besprochen. Der Autopannendienst holte Kirstens Auto und stellte ihr für die Heimfahrt ein Ersatzauto zur Verfügung. Zu Hause angelangt wollte Kirsten von Elisabeth wissen:
„Schatz, woher konntest du eigentlich wissen, welchen Weg wir nehmen mussten?“
„Du gingst gestern so zielstrebig auf das Haus zu, als ob du es kennen würdest“ sagte sie noch total erstaunt.
„Ich weiß es nicht Mami, vielleicht habe ich es geträumt“ antwortete sie ihrer Mutter.
„Ist auch egal. Hauptsache wir haben alles gut und gesund überstanden“ erwiderte Kirsten erleichtert. Sie küsste Elisabeth und streichelte ihr zärtlich durchs Haar. Diese drückte ihre Mutter ganz fest und war sehr glücklich. Kirsten telefonierte noch mit ihrem Bruder und erzählte ihm von der unglaublichen Geschichte. Sie sah nicht, dass ihre Tochter dabei ein fröhliches Grinsen aufsetzte.
Denn für Elisabeth war es klar, ohne Onkel Dieter und dem Leuchtturm hätten sie nie den Weg gefunden.

© 22.09.2006 gerryG


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Elfmeter – Des einen Freud’, des anderen Leid
(Eine Lebenserfahrung)


Manuel trainierte mit seinen Freunden am Fußballplatz. Sie waren gerade beim Aufwärmtraining und mussten das runde Leder „gaberln“. Das ist eine Übung, bei der der Spieler mehr Gefühl für den Ball bekommt. Der Ball muss mit den Füßen, Knien, der Brust oder mit dem Kopf immer wieder hoch geschubst werden ohne den Boden zu berühren. Die Jungs waren alle mit großem Eifer bei der Sache und bemühten sich redlich. Der Ehrgeiz stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Jeder wollte seinem Mannschaftskollegen überbieten. Außerdem wussten sie, dass das große „Turnier“ vor der Türe stand. Manuels Mannschaft war ein wenig „siegverwöhnt“ und hatte in den letzten Spielen kaum eine Niederlage einstecken müssen. Sie waren der regierende Meister und in den letzten Jahren nie schlechter als am dritten Platz gelegen. Aber sie hatten ein größeres Ziel – sie wollten unbedingt dieses Turnier gewinnen. Es war das größte Turnier für Nachwuchsmannschaften.
Trainer Günther war auch sehr zufrieden mit dieser Truppe. Für ihn war das Training mit den Jungs eine große Freude. Nach dem Training ging Günther mit seinen Spielern in die Kabine und führte noch ein letztes Gespräch mit ihnen.
„Jungs, ich brauche euch ja nicht zu erklären, worum es morgen geht. Wir wollen gemeinsam das Turnier gewinnen“ sagte er.
Die Buben nickten alle zustimmend.
Dann fuhr Günther fort:
„Aber mir geht es hauptsächlich darum, dass ihr eure Leistungen bringt und mit letztem Einsatz spielt. Ich möchte jeden von euch laufen und kämpfen sehen“.
Die Spieler waren total begeistert von ihrem Trainer und stimmten ihn voll und ganz zu. Günther freute sich, dass er ein wenig motivieren konnte, und sprach weiter:
„Ich bin auch nicht enttäuscht, wenn wir nicht „Erster“ werden. Für mich zählt einzig und alleine eure Leistung“.
„Trainer, du kannst dich auf uns verlassen. Wir werden sicher unser Bestes geben“ meldete sich Thomas, einer der Buben, zu Wort.
„Ja, das werden wir. Wir haben dich doch bis jetzt noch nie enttäuscht“ mischte sich Manuel ein.
Die Spieler grinsten und nickten zustimmend.
Günther merkte die gute Stimmung in seiner Mannschaft und freute sich sehr darüber. Trotzdem erklärte er noch:
„Ihr wisst alle, dass Fußball ein Mannschaftssport ist und das will ich morgen beim Turnier auch sehen. Ihr sollt miteinander spielen, passen und Kombinationen zeigen. Ich mag keine egoistischen Einzelgänge. Ein wenig „Trippeln“ ist schon in Ordnung, aber alles zu seiner Zeit“.
Die Jungs sahen das ein. Sie blödelten noch etwas, dann gingen sie in die Dusche. Aber alle waren mit ihren Gedanken schon beim Turnier.

Manuel wachte schon ganz zeitlich in der Früh auf. Er hatte vor lauter Nervosität kaum schlafen können. Für ihn war das Turnier etwas ganz Besonderes. Seine Mannschaftskollegen und er wollten Günther eine große Freude bereiten. Für Manuel zählte sowieso nur der Sieg, obwohl der Trainer diesen nicht unbedingt verlangte. Aber siegen war Ehrensache.
Beim Frühstück brachte er auch kaum einen Bissen hinunter. Seine Eltern mussten Manuel fast schon zwingen, dass er wenigstens Cornflakes zu sich nahm. Er aß ein paar Löffel und zog sich dann seinen Trainingsanzug an. Dann fuhren seine Eltern mit ihm los.

Die ersten drei Spiele hatten die Kicker schon erfolgreich hinter sich gebracht. Sie standen bereits im Halbfinale. Nur noch ein Spiel gewinnen, dann würden sie im Finale stehen, dem großen Ziel einen Schritt näher. Den Gegner hatten sie schon in der Meisterschaft ein paar Mal besiegt. Aber sie durften ihn nicht unterschätzen, denn das könnte fürchterlich ins Auge gehen. Die Spieler gingen auch hochmotiviert in das Spiel. Sie spielten mit aller Freude, die man beim Fußball nur haben kann. Clemens passte zu Thomas und der schoss den Ball unhaltbar zum 1:0 ein. Im Jubel um die Führung übersahen sie einen gegnerischen Stürmer. Dieser lockte den Tormann heraus und überhob diesen zum 1:1-Ausgleich. Einige Minuten plätscherte das Spiel so vor sich hin. Dann riss Manuel der Geduldsfaden und er startete ein Solo. Er überspielte zwei Verteidiger und hatte nur mehr den Tormann vor sich. Manuel suchte sich eine Ecke aus und drückte eiskalt ab. Er hatte seine Mannschaft neuerlich in Führung gebracht. Der Jubel unter den Jungs war riesig. Sie hatten nur noch eine Minute zu überstehen. Doch der Gegner drängte und drängte. Dann passierte es. Knapp vor Abpfiff gelang doch noch der Ausgleich. Ein Elfmeterschießen musste entscheiden wer ins Finale kommen würde. Drei Spieler jeder Mannschaft wurden von ihren Trainern bestimmt. Bei Manuels Truppe waren es Thomas, Rudi und er selbst. Der gegnerische Spieler fing an. Er richtete sich den Ball her, trat an und es stand 1:0. Keine Chance für den Tormann. Thomas machte es nach 1:1. Beide restlichen Spieler vom Gegner und Rudi versenkten den Ball auch im Netz. Nun lag es an Manuel ob das Elfmeterschießen eine Fortsetzung finden würde. Er musste treffen. Manuel legte sich das runde Leder auf den Elfmeterpunkt. Er nahm sich einen langen Anlauf und beförderte den Ball mit seinem linken stärkeren Fuß in Richtung Tor. Der Tormann sprang hoch und faustete das „Laberl“ über die Latte. Gehalten – für Manuel brach eine Welt zusammen. Tränen rannen ihm über die Wangen. Er sank in die Knie und versteckte sein Gesicht in beiden Händen. Seine Freunde und Mitspieler waren auch enttäuscht, aber sie liefen zu ihm und versuchten ihren Mannschaftskollegen zu trösten. Sie klopften Manuel beruhigend auf die Schulter und auf den Kopf. Langsam erholte sich Manuel von diesem Schock. Alle Spieler setzten sich nun auf den Rasen und konnten es nicht fassen. In ihren Köpfen ließen sie das Spiel Revue passieren. Aber es änderte sich nichts. Sie hatten den Einzug ins Finale versäumt.
Nun lag es an Günther die Mannschaft und vor allem Manuel wieder aufzubauen. Er setzte sich zu ihnen und versuchte tröstend einzuwirken:
„Kopf hoch Jungs. Ihr habt heute wirklich guten Fußball gespielt. Ich bin mehr als zufrieden mit eurer Leistung. Elfmeterschießen ist reine Glückssache“.
Dann nahm er sich Manuel zur Seite und sprach:
„Du hast super geschossen, aber der gegnerische Tormann hat ebenso super abgewehrt. Du hast dir nichts vorzuwerfen“.
Er tätschelte Manuel an der Schulter und tröstete weiter:
„Du hast heute einfach toll gespielt. Du warst sehr mannschaftsdienlich und hast einige schöne Tore geschossen. Es gibt keinen Grund den Kopf hängen zu lassen“.
Die Worte des Trainers taten sehr gut, doch so richtig helfen wollten sie in diesem Moment auch nicht. Aber das war in dieser Situation nur zu verständlich. Das wusste Günther auch. Er scharrte seine Buben um sich und meinte:
„Ein richtiger und anständiger Sieger muss auch lernen zu verlieren. Ich weiß, dass euch das in diesem Augenblick nicht viel tröstet, aber auch Verlieren will gelernt sein!“
Dann bemerkte er noch:
„Ihr habt euer Bestes gegeben und mir und euren Eltern große Freude bereitet. Ich bin unglaublich stolz auf euch“.
Nach diesen Worten ging er mit seiner Mannschaft in die Kabine.

Nach der Siegerehrung schüttelten Manuel und seine Freunde ihren erfolgreichen Gegnern die Hände und gratulierten ihnen zum Sieg. Manuel ging zum Tormann, der seinen Elfer hielt, und klopfte diesen mit den Worten auf die Schulter:
„Super gehalten! Gratuliere zu diesem Spiel. Vielleicht haben wir das nächstemal mehr Glück“.

Manuel und seine Fußballfreunde sind seit diesem Tag um eine große Erfahrung reicher geworden, die auch in ihrem weiteren Leben noch sehr oft eine große Rolle spielen wird.

© 27.09.2006 gerryG


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Glaube, Hoffnung, Liebe


Drei Symbole, die unter den gläubigen Menschen, große Bedeutung haben. Auch für Richard, einem der Protagonisten dieser Geschichte.
Richard Cornwall hatte vor einem Jahr seine geliebte Frau auf tragische Art und Weise verloren. Sie verunglückte bei einem schweren Autounfall tödlich. Richard war ein sehr gläubiger und lebensbejahender Mann, aber seit diesem schrecklichen Ereignis, verbannte er diese Eigenschaften total aus seinem Herzen. Er zog sich in sein Haus am Stadtrand zurück und versank im Selbstmitleid. Richard verließ sein Haus nur mehr um Einkäufe zu tätigen. Als Erbe eines beachtlichen Vermögens musste er auch keinen Arbeitsplatz aufsuchen. Kurz und gut, er stahl dem lieben Gott nur mehr den Tag.
Eines Tages, als er wieder einmal auf seiner Schaukel im Garten saß und vor sich hin träumte, sah er einen kleinen Jungen vor seinem Haus Ballspielen. Der Knirps drosch auf seinen Ball und ließ ihn am Boden aufspringen. So bewegte er sich vor Cornwalls Haus auf und ab. Dabei vergaß er aber nie, mit einem kurzen Seitenblick, über den Zaun zu gucken.
Aber auch für Richard schien der Junge sehr interessant zu sein. Er musterte den schwarzhaarigen Lausbuben aus den Augenwinkeln. Wie lange war es schon her, dass irgendjemand so nah an sein Haus kam? Was aber auch kein Wunder war, galt doch Richard im ganzen Ort als Eigenbrötler. Als Richard bemerkte, dass ihm der Junge ansah, drehte er seinen Kopf zur Seite. Er tat so, als ob er den Buben nicht sehen würde. Cornwall konnte eben nicht aus seiner Haut schlüpfen. Als er wieder einen kurzen Blick über den Zaun warf, war der Junge plötzlich verschwunden. Egal dachte sich Richard und zuckte mit den Schultern. Er erhob sich von seiner Schaukel und ging ins Haus.

Am nächsten Morgen stand Richard sehr zeitig in der Früh auf. Er bereitete sich ein Frühstück zu und holte die Zeitung von seinem Briefkasten. Er setzte sich an den Tisch und schmierte sich Butter und Erdbeermarmelade auf sein Croissant. Richard machte einen genüsslichen Biss. Dann verschwand sein Kopf in der Tageszeitung. Als er so in den Neuigkeiten versunken war, kam ihm der Junge wieder in den Sinn. Nach einigen Augenblicken versuchte er den Gedanken wieder zu verwischen. Ein fremder Junge, wieso sollte der ihm eigentlich interessieren? Warum ist das so etwas Besonderes? Er der „Menschenfeind“, denkt plötzlich an ein fremdes Kind, das wäre doch lächerlich. Richard unterdrückte diese Gedanken und las einfach in seiner Zeitung weiter. Er ließ sich auch die frischen Croissants gut schmecken. Nach dem Dritten hatte er aber doch genug und schenkte sich nur mehr etwas Kaffee nach. Er nahm seine Tasse in die Hand und ging damit in sein Wohnzimmer. Er betätigte die Fernbedienung und machte es sich vor dem Fernseher gemütlich. Vielleicht käme er so auf andere Gedanken.
Eine Talkshow schien das Richtige dafür zu sein, denn bei dieser blieb er hängen und sah mit Wohlwollen auf den Bildschirm. Schlafen, fernsehen und essen, waren der Inhalt seines Lebens geworden. Seine Krise schien kein Ende zu nehmen. Cornwall war ein bedauernswerter Mensch, der jegliche Perspektiven seines Lebens verloren hatte.

Am diesem Nachmittag war es wieder einmal so weit, Cornwall musste zum Einkaufen in die Stadt. Er stieg in sein Cabrio und fuhr los. In der Stadt angekommen, parkte er sein Auto und mischte sich unter das Volk. Mit gesenktem Kopf spazierte er durch die Straßen. Er tätigte seine Einkäufe und brachte sie zu seinem Wagen. Dort angekommen verstaute Richard die Einkaufstaschen im Kofferraum. Normalerweise würde Cornwall jetzt nach Hause fahren und seinen Einkaufstag beenden. Aber dieser Tag sollte für Richard eine andere Fortsetzung erfahren.
Irgendetwas in ihm trieb Richard dazu, dass er die Kirche aufsuchen wollte. Er bewegte sich mit langsamen Schritten, immer sein Gesicht zu Boden gekehrt, in Richtung Kirche. Er betrat diese, bekreuzigte sich mit Weihwasser und nahm in der letzten Bankreihe Platz. Sein Blick traf auf ein wunderschönes antikes Kreuz, das über dem Altar hing. Plötzlich hatte er das Gefühl, als ob er beobachtet würde. Er hatte den Eindruck, dass die Augen der Jesusstatue, seinen Blick erwiderten. Ein angenehmes herzerwärmendes Gefühl durchzuckte seinen Körper. Er wollte aber konnte seinen Blick nicht von dem Kreuz abwenden. Dann fing er wie ferngesteuert leise zu beten an:
„Lieber Gott, warum hast du mir den liebsten Menschen genommen? Es gibt soviel Böses auf der Welt. Warum gerade meine Frau? Ich hatte meinen Glauben an dich schon fast verloren. Auch in diesem Moment bin ich mir nicht ganz im Klaren.“
Er wollte erneut sein Gesicht abwenden, doch auch dieser Versuch scheiterte. Also sprach er weiter:
„Ich habe mein Selbstmitleid auch schon langsam satt, doch ich kann eben nicht anders. Ich finde mein Leben so wie ich es jetzt führe auch nicht lebenswert. Auch mein Verhalten anderen Menschen gegenüber finde ich nicht O. K. Aber wie soll ich dagegen ankämpfen, wenn auch mein Glauben an dich verloren gegangen ist?“
Selbst beim Beten merkte Richard nicht, dass er wieder in diese Selbstmitleidsphase fiel. Er klagte und jammerte, ohne darüber nachzudenken, dass nur er alleine diesen Zustand ändern könne. Doch in diesem Augenblick besann er sich dessen und bat:
„Bitte lieber Gott, hilf mir meinen Glauben wieder zu finden. Lass mich mein negatives Gedankengut ablegen und gib mir die Kraft den Sinn des Lebens zu erkennen.“
Nach dem Gebet fiel ihm die Last eines ganzen Felsens von der Seele. Ein imaginäres Lächeln durchdrang seine Sinne und er fühlte sich plötzlich leicht wie eine Feder. Cornwall glaubte zu schweben, als er erleichtert und hoffnungsvoll zugleich, die Kirche verließ.

In den nächsten Tagen änderte sich das Leben Richards grundlegend. Er verbrachte sehr viel Zeit in der Stadt, ging ins Kino, besuchte Kaffeehäuser und unterhielt sich mit den Leuten. Auch ging er immer erhobenen Hauptes durch die Gassen, immer ein Lächeln im Gesicht tragend. Er ertappte sich auch dabei, dass er den Blicken der Frauen nicht mehr auswich. Er hatte das Gefühl, dass er für eine neue Beziehung wieder offen war. Cornwall war wieder ein rundum glücklicher Mensch.

Da Richard kein Bedienungspersonal anstellen wollte, führte er seinen Haushalt komplett alleine. Dies sollte sich auch mit der wieder gefundenen positiven Lebenseinstellung nicht ändern. Nach dem großen Hausputz kochte er sich sein Essen und begab sich nach dem Mittagsmahl in den Garten. Mit der beliebten Zeitung unter dem Arm machte er es sich auf seiner Hollywoodschaukel bequem. Als er gerade den Sportteil lesen wollte, hörte er das Geräusch eines aufspringenden Balles. Der Junge? Der Junge – schoss es ihm durch den Kopf. Er warf einen Blick über den Zaun und seine Augen bestätigten seinen Gedanken. Der schwarzhaarige Bub spielte wieder vor seinem Haus. Nur dieses Mal verhielt sich Richard total anders. Er ging ins Haus, holte einen Schokoriegel und ging damit zum Zaun. Er begrüßte den Jungen und wollte ihn den Schokoriegel schenken. Doch der Bub bedankte sich mit einem Kopfschütteln und sagte:
„Ich darf von Fremden nichts annehmen. Aber trotzdem Dankeschön.“
Cornwall verstand das sehr gut und wollte sich auch nicht aufdrängen. Er fand das Verhalten des Jungen auch vollkommen in Ordnung. Richard grüßte den Knirps noch einmal und setzte sich wieder auf seine Schaukel. Doch irgendwie wollte ihm der Junge nicht aus den Kopf gehen.

Einer seiner Spaziergänge, die Cornwall jetzt fast täglich absolvierte, führte ihn zu einem kleinen Kinderspielplatz. Richard gefiel das lustige Treiben und die fröhlichen Gesichter der Kinder. Er setzte sich auf eine Parkbank und beobachtete freudig die gut gelaunten Menschen. Mitten im Durcheinander entdeckte er einen kleinen schwarzhaarigen Buben. Es war der Junge, der öfter vor seinem Haus Ball spielte. Auch der Junge dürfte Cornwall erkannt haben, denn er lief zu einer zirka dreißigjährigen Frau und rief:
„Mama, Mama, das ist der Mann, der mir die Schokolade schenken wollte!“
Die Mutter des Jungen warf Richard einen flüchtigen Blick zu und zog ihren „Sohnemann“ mit den Worten zu sich:
„Marc, du musst doch deswegen nicht gleich den ganzen Park zusammen rufen.“
Marc setzte sich neben seine Mutter und sah unentwegt zu Richard. Dieser blickte voller Bewunderung zu Marcs Mutter. Sie war eine sehr attraktive junge Frau mit langen dunklen Haaren. Er nickte beiden lächelnd zu. Nun nahm er sich ein Herz und ging zu beiden hinüber.
„Mein Name ist Richard Cornwall. Ich habe mit ihrem Sohn schon Bekanntschaft gemacht. Er dürfte gerne vor meinem Haus Ball spielen.“
Mit diesen Worten stellte sich Richard bei Marcs Mama vor und reichte ihr dabei seine rechte Hand zum Gruß. Rita, so hieß Marcs Mutter, erwiderte den Gruß und sagte zu Richard:
„Seien sie nicht böse, dass mein Sohn ihre Schokolade nicht annahm, ich hatte ihn das ausdrücklich verboten. Er darf von keinem Fremden etwas annehmen.“
Dabei lächelte sie lieb und fuhr fort:
„Übrigens ich heiße Rita.“
„Ich heiße Marc“ meldete sich nun auch der Junge zu Wort.
Sowohl Rita als auch Richard mussten herzhaft über die Lockerheit des Buben lachen.
„Ich bin der Richard und freue mich sehr dich nun endlich näher kennen zu lernen“ antwortete Cornwall dem Jungen.
Rita bot Richard den Platz neben ihr an. Er setzte sich und beide fingen ein unterhaltsames Gespräch an. Richard erfuhr, dass Rita seit drei Jahren geschieden war und sie mit Marc alleine wohnte. Sie war Sekretärin in einer kleinen Computerfirma und musste auch alleine für den Jungen aufkommen. Der leibliche Vater zog es vor, Rita noch vor der Geburt ihres Sohnes zu verlassen.
„Aber ich bin trotzdem glücklich und liebe mein Kind über alles“ fügte Rita hinzu.
Auch Richard erzählte ein wenig aus seinem Leben. Auch wie er zum Witwer wurde und dass er leider keine Kinder hatte. Dabei hätte er sich Kinder so sehr gewünscht.
„Ja auch ich liebe Kinder sehr, aber dieser Wunsch wollte sich bis jetzt nicht erfüllen“ erzählte Richard etwas traurig klingend. Dann sagte er noch zuversichtlich:
„Aber ich glaube fest daran, dass sich noch alles zum Guten wenden wird. Man sollte die Hoffnung nie aufgeben.“
Als er diese Worte aussprach, fiel ihm ein, dass das vor kurzer Zeit noch nicht selbstverständlich schien. Aber er empfand in diesem Moment so ein Glücksgefühl, dass er Rita fragte:
„Was würden sie dazu sagen, wenn wir drei uns einmal einen schönen Tag am Wochenende machen würden?“
„Mama, das wäre doch ganz super“ mischte sich Marc nun ein, bevor seine Mutter noch antworten konnte.
„Auch mir würde es große Freude bereiten endlich wieder etwas zu unternehmen“ erwiderte Rita.
Von diesem Augenblick an wusste Richard, dass er sich wieder verliebt hatte.

Das Picknick am Wochenende wurde für alle ein voller Erfolg. Rita und Richard kamen sich näher und Marc war der glücklichste Junge der Welt. Er hatte ein neues Gefühl kennen gelernt, das Gefühl endlich eine „Vaterfigur“ an seiner Seite zu wissen. Cornwall mochte den Jungen von Anfang an. Er sah in Marc sein eigenes Kind.

Aus den Dreien wurde eine richtige Familie. Rita und Richard heirateten und nach einem Jahr musste in Cornwalls Haus ein neues Kinderzimmer eingerichtet werden.

An einem wunderschönen Mai Abend saßen Rita und Richard im Garten auf der Schaukel und sahen gemeinsam in den Sternenhimmel. Beide waren glücklich und mit ihrem Leben voll und ganz zufrieden. Sie wussten, dass das Schicksal es gut mit ihnen meinte und sie zusammenführte. Als Rita sich an Richards Schulter lehnte und ihm zärtlich auf die Wange küsste, fiel Cornwall das Gebet in der Kirche ein. Gott hatte ihm den richtigen Weg gezeigt, doch sein Leben in den Griff zu bekommen und daran zu glauben, musste er schon alleine.
Glaube kann Berge versetzen und wenn man die Hoffnung nie aufgibt, dann wird auch eine neue Liebe den Weg zum Herzen finden.

© 10.10.2006 gerryG


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Wenn Engel Trauer tragen


Erschöpft saß Martin auf seiner Couch vor dem Fernsehgerät. Es liefen die Nachrichten, aber er bekam gar nichts davon mit. Sein Arbeitstag hatte wieder einmal nur Stress und Ärger gebracht. Aber seine Gedanken waren auch nicht in der Arbeit, sondern bei ihr.

Vor ein paar Tagen begegnete er „Ihr“ auf der Straße. Als er so dahin spazierte, stand sie plötzlich vor ihm. Sie hatte die Ausstrahlung eines Engels. Blondes langes Haar, blaue sanfte Augen und wunderschön geformte Lippen. Dieser Mund lud förmlich zum Küssen ein. Wie aus heiterem Himmel sprach sie ihn an:
„Verzeihen, könnten Sie mir den Weg zum Hauptplatz beschreiben?“
Martin war sprachlos. Nach ein paar Sekunden gab er ihr aber mit leicht stotternder Aussprache die Antwort. Er war von ihr hin und her gerissen. Leider tat er sich beim Flirten und Ansprechen weiblicher Personen immer sehr schwer. Aber dieses Mal nahm er sich ein Herz:
„Fräulein darf ich Ihnen den Weg persönlich zeigen?“
„Ich gehe in die gleiche Richtung“ fuhr er fort.
Sie lächelte herzlich und nickte ihm zu. Erleichtert stellte er die nächste Frage:
„Wenn sie noch etwas Zeit hätten, darf ich Sie noch auf einen Kaffee einladen?“
Völlig locker, freundlich und für Martin überraschend, stellte sie eine Gegenfrage:
„Kennen sie ein nettes Cafe?“
Martin bejahte.
„Na dann los, nützen wir die Zeit und trinken gemeinsam einen gemütlichen Kaffee“ sagte sie kokett.
Martin steuerte mit seiner Bekanntschaft ein liebes, kleines Eckcafe an. Sie verbrachten eine knappe Stunde in dem Lokal. Sie scherzten, lachten und hatten großen Spaß miteinander. Beim Verabschieden sprach sie Martin mit einem leicht traurigen Unterton an:
„Ich möchte nicht, dass du dir weitere Hoffnungen machst. Ich bin verheiratet, aber diese kurze Zeit mit dir, hat mir sehr gut getan.“
Martin schluckte und atmete tief durch. Sie hatte ihm das Wort aus dem Mund genommen, denn er wollte sie gerade darauf ansprechen. Trotzdem gab er ihr einen zärtlichen Kuss auf die Wange:
„Danke, tschüss, vielleicht bis irgendwann!“
In einer liebevollen Art drehte sie den Kopf zur Seite, lächelte und verließ mit graziösen Schritten das Cafe.

Martin beugte sich zum Couchtisch vor und zündete sich eine Zigarette an. Er wollte sich das Rauchen schon sehr oft abgewöhnen, aber dazu fehlte leider der letzte Wille. Er blies kleine Wölkchen vor sich her und war in seinen Gedanken versunken, als es an der Wohnungstür klopfte. Da es schon fast einundzwanzig Uhr war, wunderte er sich über den späten Besuch. Er öffnete die Tür und sah in ein blaues, von Tränen feuchtes, Augenpaar.
„Darf ich für einen Augenblick zu dir?“ fragte die zierliche Blondine.
Es war „Sie“. Sie stand weinend und schluchzend vor ihm. Was hatte sie? Warum war sie so traurig? Woher kannte sie seine Adresse? Tausende Fragen durchwanderten seinen Kopf. Martin dämpfte seine fast abgebrannte Zigarette im Ascher aus und bat sie näher:
„Darf ich dir etwas zum Trinken anbieten?“
„Ja bitte, wenn du ein Glas Mineralwasser für mich hättest“ antwortete sie noch immer schluchzend.
Martin bot ihr einen Platz auf seiner Couch an und ging in die Küche, um ihr das Gewünschte zu bringen. Er stellte das Glas auf den Tisch und setzte sich zu ihr. Als ob sie seine Gedanken, Neugierde und Fragen lesen konnte, begann sie mit leisen Worten:
„Frage mich bitte nicht, was alles vorgefallen ist. Genieße einfach so wie ich den Augenblick. Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich bei dir sein kann.“
Auf das verständnisvolle Nicken und dem gezwungenem Lächeln Martins, wusste der Engel in Frauengestalt auch eine Antwort:
„Du bist ein lieber Kerl, ich mag dich einfach.“
Behutsam streichelte er ihr durchs Haar. Sie legte ihren Kopf auf seine Schulter und war in diesem Moment einfach nur glücklich. Nun drehte sie ihren Kopf zu seinem Gesicht, küsste ihm ganz lieb und vorsichtig auf den Mund. Martin wusste nicht, was mit ihm geschah. Besorgnis, Erregung und Liebe, hielten sich in seinem Körper die Waage. Er erwiderte ihren Kuss. Sie schwebten gemeinsam durch Zeit und Raum. Ihre Tränen rannen fast unfühlbar über seine Wangen und tropften wie in Zeitlupe auf die Armlehne der Couch. Trotz dieser Angespanntheit und Traurigkeit, die hier in der Luft lagen, überkam Martin eine Art von Glücksgefühl. Er hatte sich wohl in einen Engel verliebt.

Martin blickte wie in Trance in den Fernseher und konnte die Welt nicht mehr verstehen. Hatte er geträumt oder war das Erlebte reine Wirklichkeit? Kopfschüttelnd räumte er den Tisch ab.
Beim Glattstreifen seiner Couch wunderte er sich nur, über die völlig durchnässte Armlehne.

© 09.07.2006 gerryG


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Tragödie beim Fußballspiel


Die Wohnzimmertüre öffnet sich:

„Schatz“!
„Keine Zeit, das Spiel fängt an“
„Es ist aber sehr wichtig“

Die Bundeshymnen werden gespielt:

„Du hast dir leider den falschen Zeitpunkt ausgesucht“
„Es muss aber jetzt sein, es ist wirklich wichtig“
„Was kann jetzt wichtiger als Fußball sein“?
„Es betrifft uns beide“.
„Das können wir später im Bett auch noch besprechen“

Die Heimmannschaft baut einen raschen Angriff auf und – daneben:

„Ich werde nicht mehr mit dir schlafen“
---
„Ich werde dich verlassen“
„Das kostet mich einen Lacher, das ziehst du doch niemals durch“
„Ich habe einen sehr lieben Menschen kennen gelernt“

Tooor – die Heimmannschaft geht in Führung:
---
„Wir haben uns ineinander verliebt“
„Wir führen eins zu null“.
„Du scheinst mich nicht zu verstehen, hörst mir nicht richtig zu oder nimmst mich nicht ernst“
„Schade – schon wieder eine Chance vergeben“
„Es gibt keine Chance mehr für dich“.
„Ich meinte doch unsere Mannschaft“.
„Du hast nichts dazu gelernt“
-Tränen-
„Setz dich zu mir und halte auch die Daumen für unser Team“.
„Es gibt keine Zukunft mehr für uns – selbst jetzt reden wir aneinander vorbei“
---
Ich werde packen und dann siehst du mich nie wieder“
-Tränen-

Pause:

„Liebling“!
-Stille-
„Liebling, sei doch kein Spielverderber“.
-Stille-
„Na, dann eben nicht“

Beginn der zweiten Spielhälfte:

„Kannst du mir etwas zum Trinken bringen“
-Stille-
„Und nimm auch etwas zum Knabbern mit“
-Stille-

Das Team führt 2:0:

„Tor, Tor, Tor – Hurra“
---
„Wo bleibst du so lange“?
-Stille-
„Muss ich mir denn alles Selbst holen“?
-Stille-
„Sch.....“!

„Tschüss“

Sieg – und Abpfiff:

„Wir haben gewonnen“!

-Stille- nur die Tür fällt leise ins Schloss.

© 27.06.2006 gerryG

 

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Wolf


Sehr oft im Leben wird über Freundschaften zwischen Tier und Mensch erzählt und geschrieben. Deshalb will ich euch diese Geschichte nicht vorenthalten.

Er war ein zwölfjähriger Junge. Er war Mexikaner und hieß Juan Vasquez, aber alle riefen ihn nur mit seinem Spitznamen „Juanito“, Juanito war nicht besonders kontaktfreudig, ich würde sogar behaupten, ein wenig menschenscheu. In der Schule und in seinem Freundeskreis galt er deshalb immer als Außenseiter. Er blieb aber trotzdem immer freundlich, lieb und ehrlich.

An einem dieser verflixten Nachmittage, spazierte Juanito wieder einmal alleine durch die Gassen. Er sah sich gerne die Auslagen der kleinen Läden an oder beobachtete einfach die Menschen. Als er in eine kleine dunkle Seitengasse einbog, bemerkte er eine Gruppe Jugendlicher vor sich. Er dachte sich nichts Besonderes dabei und wollte seitlich an ihnen vorbei gehen. Doch die Jugendlichen, fünf an der Zahl, sie hatten ungefähr das gleiche Alter wie Juanito, hinderten ihn daran. Ohne viele Worte stürzten sie sich auf den Jungen und schlugen auf ihn ein. Sie raubten seine Taschen aus und stahlen auch noch sein Handy. Dann lief die „Gang“ einfach davon und ließ Juanito blutverschmiert am Boden liegen. Juanito kroch zu der Hausmauer und kauerte sich an diese. Tränen der Verzweiflung rannten über seine Wangen. Er schluchzte bitterlich und wischte sich mit den Händen über das Gesicht. Blut, Schmutz und Tränen vermischten sich auf seiner Haut. Er fühlte sich einsam und von der Welt im Stich gelassen. Plötzlich fühlte er eine sanfte Berührung auf seiner zerschundenen Wange. Juanito sah auf und blickte in die gelben Augen eines stattlichen grauen Wolfshundes, der liebevoll Juanitos Wunden leckte. Bei dem Jungen waren Angst, Verzweiflung und Schmerz sogleich verflogen. Er streichelte über das graue Fell des Hundes und drückte sein Gesicht an ihn. Nun wurde es Zeit nach Hause zu gehen.

Auf dem Heimweg lief der Vierbeiner immer ein paar Schritte hinter Juanito her, aber er ließ den Jungen niemals aus den Augen. Juanito lächelte, denn er hatte einen neuen Freund gefunden, den er auf keinen Fall mehr verlieren wollte.

Zu Hause angekommen erzählte er seinen Eltern das erste Mal, was sich alles so zugetragen und wie er den Wolfshund kennengelernt hatte. Juanito sagte ihnen auch, dass er den Hund behalten wolle. Die Gefühlswelt der Eltern überschlug sich. Zuerst waren sie entsetzt über die Geschichte mit der Straßenbande, erfreut, weil alles so ausgegangen war und zu guter Letzt waren sie auch noch mit dem Hund konfrontiert. Da aber die Freude und Erleichterung siegten, erlaubten sie dem Jungen schließlich, den Hund zu behalten. Juanito strahlte über sein ganzes Gesicht und fiel seinen Eltern um den Hals. Dann aber kümmerte er sich sofort um seinen neuen Freund. Er gab ihm zu trinken und zu fressen. Dankbar wedelte dieser mit seinem Schwanz.

Verbissen dachte Juanito darüber nach, welchen Namen er seinem Freund geben sollte. Selbst beim Einschlafen dachte er noch daran. Mitten in der Nacht wachte der Junge auf - und hatte auch schon den Namen im Kopf. Wenn der Hund schon wie ein Wolf aussah, sollte er in Zukunft auch „Wolf“ heißen. Zufrieden schlief er wieder ein.

Zwischen den Beiden entwickelte sich eine Freundschaft, wie sie unter Menschen fast nicht vorstellbar ist. Sie waren unzertrennlich, nur während der Schulstunden musste sich Wolf mit den Eltern Juanitos zufriedengeben. Durch die Freundschaft zu seinem treuen Wolf und die Sicherheit, die er dadurch gewann, wurde auch der Umgang zu seinen Mitschülern und Freunden von Tag zu Tag besser. Jetzt ging Juanito sogar mit seinen Freunden Fußball spielen und schwimmen. Er war nun kein Außenseiter mehr, sondern er war endlich einer von „Ihnen“.

Da Juanito jetzt immer mit seinem Hund unterwegs war, hatte der Zufall eine Überraschung für die Beiden. Bei einem ihrer täglichen Spaziergänge lief ihnen die „Straßengang“ über den Weg. Nur dieses Mal wendete sich das Blatt. Wolf legte die Ohren an und begann unruhig zu knurren. Die Lefzen gaben seine spitzen und großen Zähne frei. Dann sprang er mit erhobenem Kopf auf die Gang zu. Die Jugendlichen dachten nicht lange nach, nahmen ihre Beine in die Hände und hinterließen nur mehr eine Staubwolke. Juanito lachte lauthals, als er Wolf zu sich rief. Aus den „starken Fünf“ waren die schnellsten „Hasenfüße“ geworden. Der Junge strich Wolf zum Dank lobend über den Kopf und ging mit ihm des Weges.

Am übernächsten Tag klopfte es an Juanitos Tür. Als er öffnete, stand ein Junge von der Straßengang im Flur. Er entschuldigte sich und seine Freunde für die Dummheit, die sie begangen hatten. Dann gab er Juanito das Handy und die anderen gestohlenen Sachen zurück. Er klopfte dem kleinen Vasquez auf die Schulter und verabschiedete sich mit den Worten:
„Seit ich weiß, wie es sich anfühlt, der Schwache zu sein, habe ich begriffen, dass das ein total blödes Gefühl ist. Ich hoffe, du kannst uns noch ein Mal verzeihen“.
Danach lief er die Treppe hinunter. Wolf stand bellend daneben, als ob er die Freude mit Juanito teilen wollte.

Ich ließ diese Geschichte aus reiner Absicht positiv ausklingen. Vielleicht kann man sich an meinen Protagonisten ein kleines Beispiel nehmen. Zum einen sollte man immer vorsichtig mit Vorurteilen gegenüber Jugendlichen sein, die nicht in unser Schema passen. Man sollte das „Warum“ dieser „Dummheiten“ öfters hinterfragen.
Zweitens könnten wir Menschen uns hin und wieder ein Beispiel an den Tieren nehmen. Denn in Freundschaft und Treue sind sie uns haushoch überlegen. Ich würde mich über jeden freuen, den ich mit meiner Geschichte zum Nachdenken bewegen konnte.

Mit einem freundlichen Schwanzwedeln – Wolf!

© 24.06.2006 gerryG

 

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Libellen am See


Vor sechs Monaten hatte er sie im Internet kennen gelernt. Er hatte sich in die gefühlvollen und melancholischen Texte, die sie im Forum schrieb, über beide Ohren verliebt. Sie trug den Nicknamen „Blue Moon“, schon dieser imaginäre Name klang wie Musik. Er, David, war seit zwei Jahren geschieden und lebte seither als Single. David war ein kleiner Bankkaufmann und Hobbyschriftsteller. Er schrieb seine Gedanken und Gefühle, in Gedichten nieder. So stieß er auch auf dieses Forum, das ein zweites Zuhause für ihn wurde.
Soeben hatte er von ihr eine lange und ausführliche Mail gelesen. In dieser schrieb sie, dass sie eine sehr bewegte Vergangenheit hatte und seelische sowie physische Probleme hat. Sie ginge fast nie aus und würde auch alleine leben. Ferner schrieb sie, dass sie trotzdem sehr naturverbunden wäre. Libellen würde sie über alles lieben.
David ließ das Gelesene ein wenig in sich ruhen, bevor er Blue Moon zurückschrieb. Dieses Mal ging er auch näher auf seine Vergangenheit ein und schüttete sein Herz aus. Nachdem er die Mail abgeschickt hatte, besuchte er wieder das Forum, wo man ihn unter seinen Nick „Goethe“ kannte. Er vertiefte sich in den Gedichten.

Am nächsten Morgen saß David beim Frühstück und dachte wieder einmal über den Sinn des Lebens nach. Fragen über Fragen quälten seinen Kopf. Kann es sein, dass man sich in eine Unbekannte im Internet verliebt? Kann man bei diesem Gefühl von Liebe sprechen? Ist diese Liebe nicht nur ein Traum? Ist es nicht doch nur ein Wunschdenken? Liebe – imaginär?
Doch Nicole, so hieß sie im wahren Leben, hatte schon längst von seinem Herzen und seinen Gedanken, Besitz ergriffen.
Kopfschüttelnd verließ David seine Wohnung und fuhr nachdenklich in die Arbeit.

In den nächsten Wochen wuchs in ihm immer mehr das Verlangen, dass er sie persönlich kennen lernen wollte, nein – musste. Gedacht, getan, David nahm sich Urlaub und setzte seine Idee in die Tatsache um.

David stand am Flughafen und fieberte seinem Reiseziel entgegen. Als das Flugzeug endlich abhob, waren die Schmetterlinge in seinem Bauch nicht mehr zu beruhigen. Nun würde er auch ohne Flieger über den Wolken schweben.

Er stand mit pochendem Herzen vor Nicoles Wohnungstür. Vorsichtig drückte er den Gong.
Die Tür wurde geöffnet, eine zauberhafte Frau stand vor David. Mit offenem Mund und glänzenden Augen sah sie ihn an. Die Freude war Nicole ins Gesicht geschrieben.
„David, bist du das?“ fragte sie überrascht.
Der Puls schlug ihm bis zum Hals, als er ihr antwortete:
„Ja, Nicole, ich wollte dich ganz einfach persönlich kennen lernen, deshalb habe ich mich selbst als Paket geschickt.“
Ein paar Sekunden betrachteten sie sich noch sehr angetan von einander, dann bat sie ihn herein. Gemeinsam betraten sie das Wohnzimmer. Er legte sein Gepäck und seine Lederjacke ab und setzte sich auf die ihm angebotene Couch.
„Ich wollte gerade Kaffee trinken, magst du auch?“ fragte sie freundlich und lieb.
„Ja bitte, sehr gerne“ gab David zurück.
Nachdem Nicole den Kaffee serviert hatte, setzte sie sich zu David und beide unterhielten sich gemütlich. Sie hatten sich sehr viel zu erzählen und taten dies auch intensiv.
Nach einigen Stunden kam das Gespräch auf eine Unterkunft für David. Er fragte Nicole, ob sie ein Hotel in ihrer Nähe kennen würde. Sie lächelte verlegen.
„Das kommt überhaupt nicht in Frage, dass du in ein Hotel ziehen musst. Du kannst, wenn du willst, hier im Wohnzimmer schlafen“ sagte sie spitzbübisch. Mit diesem Vorschlag hatte David beim besten Willen nicht gerechnet. Er wurde auch ein wenig verlegen, aber er nahm dankend an. Es wurde noch sehr spät, bevor beide schlafen gingen.

Die Sonne blinzelte beim Fenster herein und vermittelte David einen wunderschönen Tagesbeginn. Der Geruch von frischem Kaffee kroch ihm in die Nase.
„Guten Morgen hast du gut geschlafen?“ hörte er Nicole fragen.
„Ich hoffe, du hast etwas Süßes geträumt“ fügte sie lächelnd hinzu.
Ein schöneres Aufwachen konnte sich David nicht vorstellen. Er sprang von der Couch, lief in die Küche und gab Nicole einen Kuss auf die Wange.
„Es ist wie in einem Märchen, ich bin in diesem Moment der glücklichste Mensch auf der Welt“ sagte er freundlich. Anschließend ergänzte er noch:
„Ja, ich habe sehr gut geschlafen und mein Traum war süßer als jede Torte.“
Beide mussten herzlich lachen und fielen sich um den Hals. Gemeinsam beschlossen sie nun, nach dem Frühstück, den in der Nähe liegenden See zu besuchen. Es sollte ein unvergesslicher Tag werden.

Der See war wirklich ein Geschenk von Mutter Natur. Schwäne schwebten majestätisch, in harmonischer Eintracht mit den Wildenten, über dem silbrig glänzenden Wasser. Vögel zogen ihre Kreise und kleine Frösche quakten am Ufer. Für David war das Fauna und Flora in Vollendung.
„Da siehst du sie?“ unterbrach Nicole Davids träumerische Gedanken.
Sie zeigte auf bunte, fliegende Wesen, die wie kleine Elfchen aussahen.
„Das sind meine Libellen!“ rief sie voller Begeisterung.
Nun sah er sie, die „Freunde“ seiner Blue Moon. Auch er war sofort von diesen lieblichen Wesen tief berührt. Aber noch viel mehr war er von der natürlichen und lieben Art Nicoles angetan. Ihr strahlendes Lächeln, ihr duftiges Haar und ihre wunderschönen Augen, ließen Davids Herz fast zerspringen. Er drückte sie fest an sich und küsste sie so zärtlich er nur konnte. Beide ließen sich auf die Wiese nieder und ihre Hände strichen sich gegenseitig durchs Haar.
„Bitte lass mich nie mehr wieder los. Lasse diesen Augenblick niemals enden“ hauchte sie David ins Ohr.
Er flüsterte zurück:
„Ich möchte ewig in deinen Armen liegen und den Himmel über mir sehen. Du zeigst mir, was wahre Liebe ist.“
Die Erregung war Nicole anzusehen, als sie noch hinzufügte:
„Lass uns die Liebe leben!“
Es war für beide ein Glücksgefühl, das sich in Worten nicht ausdrücken lässt. Als ob es die Libellen fühlten, flogen sie über dem Liebespärchen. Ihre glänzenden Flügel schwangen im Gleichklang mit der leichten Brise. Nicole und David schwebten mit den Libellen und hoben in den „Siebenten Himmel“ ab.
Als sie wieder den Boden unter ihren Füßen spürten, zogen sie weiter. Eng umschlungen spazierten sie um den See. Dieser Tag sollte nie zu Ende gehen. Auf einmal hielt Nicole inne, sie bückte sich und griff nach einer wunderschönen, weißen Feder. Sie reichte sie David mit den Worten:
„Diese Feder soll dich immer an diesen Tag erinnern.“
David nahm sie an sich. Er bemerkte die plötzlich aufkommende Traurigkeit Nicoles und kitzelte mit der Feder ihre Nase. Jetzt huschte wieder ein Lächeln über ihr Gesicht. Beide setzten ihren Spaziergang vergnügt fort. Sie genossen diesen Augenblick in vollen Zügen. Erst als die Dämmerung über den See einbrach, machten sie sich auf den Heimweg.

Zwei traumhafte Tage verbrachte David noch bei Nicole, dann musste er wieder nach Haus fliegen. Als er in sein Flugzeug stieg, stand Nicole schon am großen Aussichtsfenster.
Sie winkte ihm nach, obwohl sie wusste, dass er sie nicht mehr sehen konnte. Kleine Tränen rannen ihr über die Wangen. Sie fühlte, dass sie David wohl nie mehr sehen und spüren würde. Sie sollte leider Recht behalten.

David hielt die weiße Feder in der Hand und berührte sie sanft mit seinen Lippen. Dann legte er sie auf seinen Schreibtisch und tippte in die Tasten seines Laptops:

„Liebe Nicole!
Ich kann dich aus beruflichen Gründen leider in der nächsten Zeit nicht mehr besuchen. Da auch die Entfernung zwischen uns so groß ist, wird es sicher eine Weile dauern. Ich muss auch privat noch einiges klären. Bitte versuche mich zu verstehen. Mir bricht es fast das Herz, aber es gibt eben Dinge, die lassen sich nicht so einfach ändern. Verzeih mir mein Süßes.
Liebe Grüße und Küsse
Dein David“

Nicole und David sind heute noch sehr gute Freunde. Sie mailen sich häufig und halten sehr guten Kontakt übers Internet miteinander. Auch ihre Liebe behielten sie tief in ihren Herzen. Die weiße Feder wird ewig Zeuge sein, welch sonderbare Wege die Liebe oft geht.

Aber vor allem lebt in ihnen, die Erinnerung an die Libellen am See.

© 19.05.2006 gerryG

 

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Stefanie und der Geigenspieler


Wieder einmal war Stefanie auf dem Weg zur Schule. Sie war wie so oft viel zu früh dran, daher trödelte sie so vor sich hin. Zu Boden blickend hüpfte sie den Weg entlang. Mit spitzen Lippen pfiff sie ein Liedchen in den Morgen hinein. Plötzlich prallte sie gegen eine in Lumpen gehüllte Gestalt. Sie erschrak und die schwere Schultasche hätte sie beinahe niedergerissen. Doch die Gestalt fing sie sachte auf. Stefanie war noch immer der Schrecken ins Gesicht geschrieben, als sie der Gestalt ins Gesicht blickte. Sie sah in die freundlichen Augen eines älteren Mannes. Mit der linken Hand hielt der Mann die kleine Stefanie noch immer fest. Die Finger seiner rechten Hand umklammerten eine wunderschöne Geige. Als der Mann bemerkte, dass sich das kleine Mädchen von dem Schock langsam erholt hatte, sprach er ruhig auf sie ein:
„Na, mein Fräulein, ist wieder alles in Ordnung, oder hast du dir wehgetan?“
Stefanie brachte keinen Ton heraus und nickte nur. Der alte Mann lächelte mild und sprach mit tröstenden Worten weiter:
„So wie ich sehen kann, ist dir nichts geschehen, nur deine Sprache scheinst du verloren zu haben.“
Das kam so lieb rüber, dass dem Mädchen sogar ein kleines Lächeln über die Lippen huschte. Nach einigen Augenblicken öffnete sie doch den Mund und fragte neugierig:
„Wer bist du und wieso hältst du die wunderschöne Geige in der Hand?“
Erleichtert darüber, dass es dem Mädchen wieder gut ging, antwortete der Mann:
„Ich bin ein Straßenmusikant und verdiene mit meiner Geige ein wenig zu essen und zu trinken. Zu mehr reicht es leider oft nicht.“
Nach einer kurzen Pause fuhr er fort:
„Magst du etwas von meiner Geige hören? Es würde mir große Freude bereiten, für dich gratis zu spielen.“
Stefanie war begeistert und nickte zustimmend. Da klemmte der alte Mann seine Geige unter sein Kinn, legte den Bogen auf die Saiten und begann diese sanft zu streichen. Eine zauberhafte Melodie verließ das Instrument und drang behutsam in die Ohren des Mädchens. Es war eine Musik wie aus einer anderen Welt. Stefanie überkam ein großes Wohlbefinden. Sie war schon lange nicht mehr so glücklich. Sie verabschiedete und bedankte sich, von dem noch immer musizierenden Geigenspieler und begab sich freudig auf den Weg zur Schule.

An den nächsten Schultagen besuchte Stefanie immer wieder den alten Geigenspieler auf seinem Straßenplätzchen und lernte immer mehr Geigenstücke kennen. Eine Melodie war schöner als die andere.

Das Mädchen, das sonst eher schüchtern und in sich gekehrt war, wurde immer lockerer und aufgeschlossener. Auch ihren Freundinnen und Freunden fiel das auf. Vor allem aber ihren Eltern, die über das veränderte frohe Wesen ihrer Tochter, sehr erfreut waren. Sie sprachen Stefanie darauf an und diese erzählte ihnen von ihrer Begegnung mit dem alten Mann. Stefanies Eltern hatten gemischte Gefühle bei dem Gedanken, dass sich ihre Tochter mit einem fremden Mann von der Straße abgab, aber sie zeigten sie nicht. Viel mehr überwog die Freude darüber, dass ihre Tochter glücklich war.

Eines Tages fasste das Mädchen den Entschluss, selbst Geige spielen zu lernen. Sie wollte aber keinen normalen Musiklehrer, sondern „ihren“ Geigenspieler. Mit diesem Vorsatz begab sie sich auf den Weg. Sie konnte schon von Weitem die traumhaften Klänge der Geige hören. Als sie bei dem alten Mann ankam, unterbreitete sie diesem ihr Anliegen:
„Ich würde auch so gerne Geige spielen lernen, kannst du es mir beibringen?“
Der Straßenmusikant war überrascht und stolz gleichzeitig. Mit leuchtenden Augen antwortete er:
„Meine kleine Prinzessin, nichts würde ich lieber tun.“
Dann wurde er ein wenig nachdenklich und traurig. Kurze Zeit später sprach er weiter:
„Prinzesschen, ich habe ja leider keine Bleibe und lebe fast ausschließlich nur auf der Straße, wo sollte ich dich denn unterrichten?“
„Lass das nur meine Sorge sein“ gab Stefanie zurück.
Voller Stolz darüber, dass der „Fremde“ sie „Prinzessin“ nannte, verabschiedete sie sich und ging des Weges.

Es war ein langes und ausführliches Gespräch, welches Stefanie an diesem Abend mit ihren Eltern führte. Sie erzählte ihnen von ihrem Vorhaben und hatte auch schon den Vorschlag parat. Der Geigenspieler solle doch zu ihnen in die Wohnung kommen und sie dort unterrichten. Wo wäre denn der Unterschied zu einem anderen Lehrer? Mit größten Überredungskünsten konnte das Mädchen ihre Eltern überzeugen. Die Eltern bemerkten die Begeisterung ihrer Tochter und stimmten ihrem Vorschlag endlich zu.

Viele Wochen zogen ins Land und das kleine Mädchen übte wie besessen. Sie lernte und sie begriff sehr schnell. Eines Tages war es dann soweit. Sie konnte wirklich Geige spielen und sie beherrschte diese, wie es einer Prinzessin würdig war. Der alte Geigenspieler konnte seine Freude nicht mehr zurückhalten und er zeigte es Stefanie, indem er ihr über die Schulter strich und zu ihr sprach:
„Meine musikalische Prinzessin, du bist ein Naturtalent und ein wirkliches Genie.“
Ein paar Tränen rannen ihm über die Wangen, als er sich von Stefanie und deren Eltern verabschiedete.

Als Stefanie eines Nachmittags aus der Schule nach Hause kam, kam ihr ihre Mutter mit einem großen Paket und den Worten entgegen:
„Schau Liebes, was heute mit der Post für dich ankam.“
Das Mädchen sah auf ein, in weißem Packpapier gewickeltes Paket, auf dem in großen Buchstaben ihr Name zu lesen war. Vor lauter Neugierde riss sie es auf. Erstarrt vor Glück sah sie dann den Inhalt. Es war die Geige ihres Geigenspielers. Glänzend poliert, der Bogen mit neuem Rosshaar bespannt und auf alten Tüchern gebettet, lag sie im Karton. Nun entdeckte Stefanie auch einen kleinen Zettel auf dem zu lesen stand:

Meine kleine Prinzessin!

Ich wüsste niemanden außer dir, der meine geliebte Geige mehr verdienen würde. Du warst der erste Mensch, der mich so akzeptierte, wie ich bin und mich nicht als gescheiterten Bettler abstempelte. Ich bin so glücklich darüber, dass du in mein Leben gestolpert bist. Du hast mich in den letzten Monaten zu einem lebensfrohen Menschen gemacht und mir viel Freude geschenkt. Es war ein richtiges Vergnügen für mich, dir Geige spielen beizubringen. Ich danke dir für diese wunderbare Zeit. Du hast mir das Gefühl gegeben, als wärst du eine Enkelin für mich. Auch bei deinen Eltern möchte ich mich bedanken, dass sie mich so nett aufgenommen hatten. Du kannst wirklich stolz auf sie sein. Die kleine Geige soll dich immer an mich und unsere schöne Zeit erinnern und dir dein ganzes Leben beim Musizieren Freude bereiten.

Dein alter Freund, der Geigenspieler

Stefanie hatte noch kaum die Zeilen fertig gelesen, da rannte sie auch schon wieder aus der Wohnung hinaus auf die Straße. Sie war so berührt und verzaubert von diesem Geschenk, dass sie ihrem Freund sofort danken wollte. Doch als sie auf dem Platz ankam, war dieser einsam und verlassen. Weit und breit war nichts von dem Geigenspieler zu sehen. Traurig machte sie sich auf den Heimweg.

Am nächsten Tag erfuhr Stefanie auf dem Schulweg, von einer Geschäftsfrau deren Bonbonladen vor dem Platz des Geigenspielers stand, dass ihr alter Straßenmusikant aus dem Leben geschieden sei. Man fand ihm mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht, friedlich, so als würde er schlafen, am Boden liegen. Das kleine Mädchen begriff sehr lange nicht, was wirklich geschah. Doch die Geige und die Musik halfen ihr, die schwere Zeit zu überstehen.

Heute ist Stefanie eine bekannte Violinistin. Aber trotz ihres Ruhmes, hat sie niemals ihren Freund und Lehrmeister vergessen. Die kleine Geige hat einen Ehrenplatz in Stefanies Vitrine bekommen und das Grab des Geigenspielers trug einen Grabstein mit der Inschrift:

Musik kann goldene Brücken bauen, die Könige und Bettler gleicher Maßen tragen können. Sie verbindet die Herzen aller Menschen.

Immer wenn Stefanie das Grab mit frischen Blumen verschönert, hat sie das Gefühl, als würden leise Geigenklänge, ganz herzlich und lieb – Danke – sagen.

© 08.05.2006 gerryG

 

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